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DR. ANDREAS GABELMANN
ZUM GESAMTWERK VON HENNING LOESCHCKE

BILDWELTEN UND WERKENTWICKLUNG

Henning Loeschcke ist ein Augenmensch par excellence. Die Lust an der genauen Beobachtung von Dingen und Menschen, Materialien und Oberflächen, der Wille zur präzisen Wiedergabe auf Leinwand und Papier sowie deren schrittweise Umwandlung in eine autonome Bildrealität bestimmt das künstlerische Schaffen des Malers und Zeichners.

Den Auftakt seines inzwischen fast sechs Jahrzehnte umspannenden Werkes markieren expressive Gemälde von Menschentypen und Charakterköpfen, die Loeschcke ab Mitte der 1960er Jahre mit lockerem Pinselduktus und intensiver Farbigkeit auf Leinwand und Papier bannte. Gezielte Übersteigerungen und kühne Abwandlungen in Form und Kolorit sowie ein dynamischer Ausdruck strahlt von diesen frühen Bildern aus.
Figur und Bildnis bleiben im Verlauf der 70er und frühen 80er Jahre bestimmende Sujets, neu hinzu tritt die Hinwendung zum Thema des Stilllebens, das für Loeschckes Schaffen zentral werden soll. Mit einem ebenso sachlich-nüchternen wie feinsinnig-kultivierten Malstil und einer besonderen Vorliebe für Spiegelungen sind Alltagsgegenstände wie Gläser, Flaschen, Früchte, Papiere, Haushaltsgummis
und Tischdecken in enggefassten Bildausschnitten nahsichtig und virtuos in Szene gesetzt. Die Serie der teils sehr großformatigen „Bettlaken-Bilder“ bedeutet in den späten 80er Jahren eine gleichermaßen konzentrierte wie radikale Weiterentwicklung von Loeschckes kontemplativer Dingbeobachtung. Darin erfährt die minutiöse Schilderung von Materialität und Oberflächentextur im Spiel von Licht und Schattierungen eine kraftvolle Betonung.
Die Auseinandersetzung mit der Welt der Dinge und ihren sinnlich-haptischen Eigenqualitäten bestimmt das weitere Schaffen während der 90er und frühen 2000er Jahre. Fische und Gemüse, Glaskugeln und Früchte, Keramikschalen und Plastikfolien beherrschen, meist in strenger Aufsicht, auf unterschiedlichen Untergründen und Tischplatten formatfüllend die sorgsam im Atelier arrangierten Kompositionen. Neben den Spiegelungen, welche die strengen Kompositionen
optisch aufbrechen, unsere Wahrnehmung irritieren, zusätzliche Realitätsebenen anklingen lassen und als „Bild im Bild“ ein fast surreales Eigenleben gewinnen, sind es nun auch die kontrastierenden Oberflächen von Metall und Glas, Textil und Holz, Pflanzlichem und Kunststoffen, die Loeschckes Malerauge reizen. Zudem rückt verstärkt das Moment der formalen und wie auch inhaltlichen Interaktion der Dinge in den Fokus der Darstellungen. Fast scheint es, als würden zwischen den Gegenständen geheimnisvolle Beziehungen bestehen, als würde Loeschcke mit Pinsel und Zeichenstift, Licht und Farbe kleine Szenen entwerfen, die wie intime Bildergeschichten anmuten. Dabei beschwört Loeschckes akkurate, detailbetonte Malweise verblüffende Trompe-l‘oeil-Effekte, die unsere Wahrnehmung zwischen Sein und Schein, Realität und Illusion, aktiviert und seine virtuose Malerei in der traditionsreichen Gattung des klassischen Stilllebens verankert.
Ab etwa 2012 taucht die menschliche Figur wieder in Loeschckes Bildwelten auf – für ihn eine gewisse Rückbesinnung auf die Anfänge, wenn auch mit gänzlich anderer Formensprache: die Bleistiftzeichnungen und Ölgemälde, auf denen der Blick aus dem Berliner Atelierfenster auf Passanten, Straßenleben und Park festgehalten ist, offenbaren einen realistischen, fast fotografisch wirkenden Mal-  und Zeichenstil. Urbane Landschaften, die den Moment der unmittelbaren
Beobachtung einfrieren und doch atmen lassen.
Begleitet und zunehmend dominiert wird diese jüngste Werkphase vom neuen Themenkomplex der Collage. Ausgehend von kleinformatigen Studien auf Papier – scheinbar zufällige Kombinationen aus verschiedensten Fundstücken, realen Gegenständen und Materialien, wie z. B. Papiere oder Wollfäden, fotografierten Ausschnitten und gezeichneten Fragmenten – überträgt Loeschcke seine subtil ausbalancierten „Bild im Bild“-Motive schließlich auf großformatige Ölgemälde.
„Die Collage ist für mich Ideenskizze, aber auch Station auf dem Weg zum großen Format“, erklärt er dazu.
Das Ergebnis sind raffinierte Montagen aus Figurativem und Stilllebenhaftem, Landschaftlichem und Abstraktem, die unseren Sehnerv reizen und neue, assoziationsreiche Gedankenräume öffnen. Die seit einigen Jahren stetig anwachsende Collage-Serie liest sich wie Versuchsanordnungen über die Frage nach dem Verhältnis von Werk und Realität. Es entstehen komplexe Bildlösungen, die mit
Schichtungen und Überlagerungen von Erlebnisebenen spielen; die Bildstruktur ist in fragmentarische Realitätszonen zerlegt, die sich illusionistisch durchdringen und verzahnen. Durch die Übertragung der ursprünglichen, reliefartigen Materialcollage in reine, großzügig dimensionierte Malerei, erfährt das Gezeigte eine gesteigerte Präsenz sowie eine zusätzliche Verfremdung und Verrätselung.
Loeschckes Collagen irritieren unsere Sehgewohnheiten mit dem spannungsreichen Ausloten von Davor und Dahinter, Nähe und Ferne, Abbild und Wirklichkeit, Farbflächen, Lineaturen und Räumlichkeiten, mit perspektivischen Brechungen und abrupten Versprüngen in Größenverhältnissen. Was ist echt? Was ist gemalt? Was sehen wir überhaupt? Dem Betrachter vermitteln sich so neue, überraschende Gedankenräume. Dass Loeschckes Collagen-Bilder neben dem formalen Experiment gelegentlich auch konkrete zeitaktuelle Geschehnisse aufgreifen, verdeutlicht beispielsweise die Komposition „O.T. (Das Unglück in Bangladesch)“ von 2021, die
auf das Feuer in einer Textilfabrik zurückgeht, bei dem 2013 über 1000 Menschen
den Tod fanden. 

Henning Loeschckes Bildsprache betont den Prozess der reinen Malerei und zugleich  den malerischen Eigenwert von Gegenständen, Strukturen und Materialien. So sind seine stets unbetitelten Bilder immer auch atmosphärisch aufgeladen und wollen sinnlich erlebt werden. Die Stofflichkeit der Dinge, ihre Aura, wird spürbar. Ähnlich den Stillleben agiert Loeschcke in den Collagen mit der überlegten Anordnung der dargestellten Elemente und Bildebenen wie ein Regisseur, der auf einer Bühne das facettenhafte Zueinander der Objekte inszeniert und eine erzählerische Komponente mitschwingen lässt. Unwillkürlich stellen wir uns die Frage: Was haben
die Gegenstände und Motive miteinander zu tun? Wichtiges Gestaltungsmittel ist stets das Licht, das mit besonderen Reflexen, Kontrasten, Schatten und Spiegelungen die Szenerien überraschend lebendig werden lässt. 

Aus dem Vorgang des Sehens schöpft Henning Loeschcke seine komplexen Bildideen. Die Gemälde, Zeichnungen und Collagen thematisieren und hinterfragen die ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen beobachtetem Bildgegenstand und gestalteter Bildrealität, die in einer ständigen Metamorphose und Transformation begriffen sind und den Arbeiten ihre ganz eigene Faszination verleihen.

DR. ANDREAS GABELMANN

ANDERE WEGE - NEUE BILDER

VON DER COLLAGE ZUR MALEREI

 Ausstellung Oktober/November 2021
Heilandskirche Berlin
EINFÜHRUNG: SABINE HANNESEN 

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"Wie verlässlich ist unsere Wahrnehmung? Und was nehmen wir wahr? Ein spannendes Thema, das in viele Lebensbereiche eingreift und von jeher Philosophen, Mediziner, Soziologen und Psychologen beschäftigte. Und ein Feld, das natürlich auch schon immer Künstler in ihren kreativen Bilderfindungen und in ihrer handwerklichen Geschicklichkeit herausforderte."

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"Stehen sich Bild und Betrachter erst einmal in Ruhe gegenüber, kann sich ein Dialog zwischen beiden entfalten. Der Betrachter beginnt, das, was er sieht, mit seinen persönlichen Lebenserfahrungen abzugleichen und einzuordnen. Manchmal trügt jedoch der Schein.

Denn das, was zum Beispiel wie aufgeklebt wirkt, hat der Künstler mit Pinsel und Ölfarbe auf die Leinwand gemalt! Trompe-l’oeil-Effekte haben im Oeuvre von Henning Loeschcke eine lange Tradition. Von der Antike bis heute faszinieren gemalte Augentäuschungen Künstler wie Betrachter." 

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

> DAS WASSERBECKEN <   2017

1. 150x115cm jpg.jpg

"Bei dieser und auch den anderen Arbeiten drängt sich die Frage auf: Wo und wie verorten wir uns?

Wir sehen dieses Objekt mit seiner grafischen Struktur aus der Vogelperspektive schräg von oben. Wir sind zwar ganz nah dran, erkennen aber trotzdem nicht, wo wir uns befinden. Deutet das malerische, grün-rot-schwarze Bildteil vielleicht einen Garten an? In seinen kräftigen Komplementärfarben bildet es einen starken Kontrast zu dem darunter liegenden Bildfeld.

Wie beide Bild- und Farbräume miteinander verbunden sind, können wir nicht logisch aufschlüsseln.  Das Wasserbecken ist in fotorealistischer Genauigkeit gemalt. Das obere Bilddrittel ist dagegen eine abstrakte, farbige Fläche. Aber diese Fläche ist nicht einfach flach! Wenn man genau hinsieht, ist sie leicht gewellt – wie Papier, das nach dem Aufkleben an einigen Stellen Blasen wirft. Und dann entdeckt man auch die helle, waagerechte Reißkante des Papierbogens, die wie eine Horizontlinie das Werk in zwei Ebenen teilt."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

> KACHELN UND FLIESEN <   2017

5. 2017, ÖL_Lwd, 130x170cm jpg.jpg

Die Wasserspiegelungen zeigen eine vom Wind bewegte Außenwelt in der Natur oder einer Landschaft. Während man mit den monochromen Fliesen eher einen geschlossenen Innenraum verbindet. Beides wird in diesem Gemälde kunstvoll miteinander verschachtelt."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

"Ebenfalls aus dem Jahr 2017 stammt das Gemälde mit den Fliesen, die in ihrer extremen Nahansicht und in ihrem starken räumlichen Vor- und Zurückspringen den Betrachter völlig irritieren! Es ist unmöglich ein Oben und Unten auszumachen. Kipp-Effekte haben dem Künstler schon immer gefallen. Das Spiel mit den verschiedenen Kacheln beschränkt sich jedoch nicht nur auf einen ästhetischen Reiz, sondern bezieht auch die Vorstellung von „innen und außen“ mit ein."

> FLACHRELIEF MIT GOLDENEM STERN <   2019

"Die Vorlage, für das nächste Gemälde mit der kleinen weißen Feder und dem goldenen Stern, ist eine Collage aus verschiedenen Papieren. Mit welcher Genauigkeit Henning Loeschcke diese Übertragung von einem Medium in das andere übernimmt, zeigt sich an vielen Details. Wie zum Beispiel an dem ursprünglich mehrfach gefalteten – nun aber wieder entfalteten - dunkelblauen Papier. Durch die vermeintlichen Knicke entsteht ein dynamisches Geflecht aus Linien, deren Grate erhaben zu sein scheinen.

Ein anderes delikates Detail: Auch der Schnitt in dem anthrazitfarbenen Papierbogen - der in der Collage aus Versehen übers Ziel hinausging - wird in das Gemälde übertragen und unterstreicht damit noch einmal mehr den Charakter eines Flachreliefs aus vielen verschiedenen Schichten. Und es macht deutlich, dass der Künstler in seinen Arbeiten auch dem Zufall einen Raum gibt.

Die Feder ist auf der Collage ein flauschiger weißer Fussel, den der Künstler verschmitzt und effektvoll als kleinen eye-catcher auf dem dunklen Untergrund platziert hat. Und auf dem Gemälde besteht der kleine weiße Fussel nur aus Ölfarbe!

Der goldene Stern, den ich – sehr zum Erstaunen von Henning Loeschcke - für einen Stern von Bethlehem hielt, - entpuppte sich im Zuge unseres Ateliergesprächs als profaner Richtungspfeil!"

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

2. 2019, Öl_Lwd, 155x120cm jpg.jpg

> PROMETHEUS MIT DEM RAD <   2015

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"Mitten in der nächtlichen Unendlichkeit ist scheinbar auf einem schwarzen Stückchen Papier mit weißem Stift der Umriss eines nackten Mannes gezeichnet, der auf einem Einrad balanciert. Auf einem zweiten schwarzen Papierstück darunter lodert ein Feuer.

Humorvoll entstand hier eine freie Erweiterung der Prometheus-Sage! Das Feuer hatte der Titan den Menschen bereits gebracht. Nun experimentiert er noch selbst mit der Erfindung des Rades. Jonglierend durchmisst der Menschenfreund die Welt.

Henning Loeschcke zeigt ihn im Bildzentrum; ganz um Balance bemüht – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne! Er scheint unermüdlich unterwegs zu sein, bei Tag und Nacht.

In der Bildkomposition vom Künstler nur angedeutet: Der himmelblaue Streifen als Symbol für den Tag. Oben das kühle Blau, unten das warme orangefarbene Feuer! Dazwischen der Vermittler. Freischwebend im dunklen Raum, endlos im Zeitenlauf der Gestirne."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

> HAAR-SEILTÄNZER <   2020

"Ein Balancierender hängt nackt und nahezu freischwebend an einem Seil zwischen zwei bedrohlich dunklen Bergketten. Aufgeknüpft an seinen eigenen Haaren!

Das Motiv bekommt eine weitere Schreckens-Dimension, wenn man erfährt, dass diese Geschichte wahr ist: Ein Mann gierte tatsächlich danach, mit seiner absurden Versuchsanordnung, ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Er fand dabei den Tod!

Im Gespräch über das Gemälde berührte mich, dass Henning Loeschcke das tragische Schicksal dieses Menschen anrührte."

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Welch eine Empathiefähigkeit!

Sein Mitgefühl schlägt sich für mich in den gedeckten Farben und der sanften, malerischen Darstellungsweise nieder, die auf alles Reißerische verzichtet. Die Nacktheit des Protagonisten ist ein Zeichen von Verletzlichkeit und Ausgeliefertsein. Diese Verwundbarkeit hebt ihn über die aktuellen Schlagzeilen des Tages und über das individuelle Schicksal hinaus. Der Künstler malt nur den Moment des Schwebens. Alles andere lässt er unausgesprochen und offen.

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

> DAS UNGLÜCK IN BANGLADESCH<   2021

6. 2013, Collage,17x22cm jpg.jpg

"Auf dem Gemälde sieht man ein abgemaltes Foto einer Kleiderpuppe. Die Abbildung stammt aus einem Zeitungsartikel, der 2013 von dem schrecklichen Unglück in Bangladesch berichtete, als eine Textilfabrik einstürzte und 1135 Menschen in den Tod riß.

Können wir nach so einer Katastrophenmeldungen einfach wieder zur Tagesordnung übergehen?

Henning Loeschcke sucht Wege mit seiner Erschütterung umzugehen. Auch hier entscheidet er sich für eine dezente Gestaltung, ohne vordergründige Symbolik.

Wenige Verweise umschreiben das Thema: Der Kleiderpuppen-Torso war eines der Teile, die man nach dem verheerenden Einsturz neben den vielen Toten fand. Das Rautenfeld in der Mitte ist mit Blutspritzern verschmiert. Der trombe-l’oel-haft gemalte Rauten-Deckel liegt wie abgesprengt von dem schrecklichen Geschehen daneben. Die Hintergründe, die zu dem Einsturz geführt haben, sollen aufgedeckt, gesehen und endlich geändert werden."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

> DIE ZAUBERBOX <   2020

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"Nach so viel Ernsthaftigkeit möchte ich mit einem Werk schließen, bei dem ich von Anfang an schmunzeln musste und das meine Phantasie immer wieder zu heiteren Vorstellungen anregt.

Ich nenne das Bild insgeheim „Die Zauberbox“!

Das Motiv ähnelt vage einem Schornstein auf einem Dachfirst. Aber das ist etwas rein Statisches. Hier ist Dynamik am Werk!

Für mich hat das Motiv deshalb eher etwas von einem Zauberkasten von dem gerade der Deckel hochgeflogen ist. Im nächsten Augenblick – da bin ich mir ganz sicher – springt irgendetwas aus dem schwarzen Kasten! Ich weiß nicht was, aber bestimmt ist es etwas Verrücktes.

Vielleicht muss man links an der grünen Kordel ziehen.

Probieren Sie es einfach aus!

Vielleicht tut sich etwas."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung 2021

TEXTE

"Ein Teil der malerischen Arbeit von Henning Loeschcke scheint in der Tat philosophisch zu sein und der Frage nach dem Verhältnis von Bild, Zeit und Wirklichkeit im zeitlichen Prozess des Malens nachzugehen: Malen als Empfinden der Zeit, Malen als Gestalten der Zeit. Stillleben enthalten die Zeit des malerischen Prozesses, der sich handelnd das Sein der Dinge angeeignet hat."

"(...) Die große Leinwand mit der flatternden Wäsche von 1988. Hier taucht erstmals die Frage auf: Was sieht man eigentlich in der Welt - wo liegt das Reale und was kann davon in Malerei zur Erscheinung gebracht werden? Eigentlich ein sehr banaler Gegenstand - die wehenden Leinwandlaken im Urlaubsort La Spezia - ein konventionelles Italienmotiv dazu. Aber wenn nun wirklich malerisch gedacht wird, erhöht sich das Interesse. Die Fläche wird zum zentralen Thema. Fläche und Grund eines Gemäldes drängen sich hier vor ins Gegenständliche - Leinwand wird Leinwand - und indem sie malerisch bearbeitet wird, gewinnen die Gegenstandsformen in ihrer Übertragung in die malerische Faktur unversehens eigene Physiognomik: man ahnt Gewänder und Gebärden. Die weitere Aufgabe ist die Farbe: Weiß in einem reichen Geflecht von Umgebungslicht, von Reflexen, Lichtern und Verschattungen."

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 PROF. DR.ANDREAS HAUS
Auszüge aus der Einführung zur Ausstellung  2003

"Der Untergrund der Dinge wird in Henning Loeschkes Stilleben tendenziell zur Bildfläche selbst. Nun steht der Maler oder auch der Betrachter nicht mehr vor, sondern er beugt sich über eine Wirklichkeit und liest die Dinge ab, wie einen Text in einem Buch. Diese Flächigkeit steigert die Zeichenhaftigkeit der Dinge, was die Sache aber nicht einfacher macht. Die Frage nach der Welt als Gegenüber unseres Ich, nach der Augenhöhe und der Perspektive unserer Wahrnehmung wird neu gestellt. Vielfach ist die Klappung der Grundfläche und die Erscheinung der Gegenstände  auf ihr bewusst ungeklärt, und man gewinnt das Gefühl, dass so ein Apfel oder eine Kirsche eigentlich im nächsten Augenblick herunterrutschen oder aus  dem Bild herausfallen müsste. Denn - im Gegensatz zu  dem ganzheitlichen, ornamentalen Hang zur Fläche, den Henri Matisse gelehrt hat - bleibt bei Henning Loeschcke das einzelne Objekt plastisch und verrät etwas von seinem Gewicht. Die Frucht könnte also der Schwerkraft folgend abrollen; doch tut sie es geheimnisvoller Weise nicht. So spielen immer wieder  die magische Dingwelt und die malerische Welt der Bildfläche ihr trickreiches Spiel gegeneinander aus. Das meinte ich mit dem Hang  zum Philosophischen in Henning Loeschckes Stillleben."

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 PROF. DR.ANDREAS HAUS
Auszüge aus der Einführung zur Ausstellung  2003

TEXTE
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"Loeschcke beschäftigte sich bis 1991 schwerpunktmäßig mit »Spiegelungen«. Vor allem die Wiedergabe metallischer und glänzender Gegenstände hatte es ihm angetan. Die Faszination von Lichtreflexen auf verschiedenen Oberflächen spielt für ihn nach wie vor eine große Rolle. Die kleinen Goldpapierchen aus Zigarettenpackungen sind z. B. schon fast so etwas wie ein »Erkennungszeichen«  des Künstlers geworden."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus dem Katalogtext von 2001

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"Auffallend ist die starke Aufsicht der Bilder, ohne Horizontlinie. Es entsteht der Eindruck, als beuge man sich als Betrachter selbst über die Tischplatte. Der Künstler nimmt sich die Freiheit dieser Kompositionsweise. Die direkte Aufsicht ist für ihn der »Text der Natur«, denn genau so liegen die Objekte vor ihm auf dem Ateliertisch. Seine Bilder entziehen sich dem Problem des Fluchtpunktes, der gewohnten Perspektive. Stattdessen arbeitet er mit malerischen Mitteln eine andere Art der Perspektive heraus: die Entdeckung der Licht- bzw. Schatten-Quelle führt z. B. auf dem Bild mit den roten Äpfeln deutlich zu verschiedenen Schattenformen."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus dem Katalogtext von 2001

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"In dem Silberpapierchen spiegelt sich wiederum eine Kirsche oder in der glatten Schneide des Messers ein Teil der roten Zwiebel. Dadurch entsteht ein Bild im Bild. Es ist eine Aufforderung des Malers genau hinzusehen; das Staunen und Wundern nicht zu verlernen, denn für den Künstler  haben diese kleinen Dinge einen großen Reichtum und malerische Faszination: »Aus  diesen vielen kleinen Farbtupfern setzt sich die uns sichtbare Welt zusammen."

DR. SABINE HANNESEN
Auszüge aus dem Katalogtext von 2001

TEXTE

"Objekte – eine Aluminiumtüte, eine Gemüsereibe, Weinflasche, Apfel, Bettlaken, ein hingeworfenes Hemd —  wir haben  diese Gegenstände schon  gesehen, begegnen ihnen im täglichen  Leben. Vielleicht ist es gerade wegen dieser Vertrautheit, dass wir aufgehört haben, sie zu sehen, sie außerhalb ihres Zweckes, ihrer Nützlichkeit zu sehen. Nun stoßen wir auf sie innerhalb eines Bildes (es selbst kein nützlicher Gegenstand). Die neue Bedeutung dieser   Gegenstände beginnt jetzt, wo ihre Nützlichkeit endet."

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JOHN EPSTEIN
Auszüge aus dem Katalogtext von 1992

"Die Parallelen zur Stillebenmalerei sind offensichtlich, jedoch versuchen die präsentierten Gegenstände hier nicht, eine Geschichte  anzudeuten oder etwas über ihre Beziehung untereinander zu erzählen. Hier wird kein Gegenstand dem anderen vorgezogen. Vielmehr werden Dinge beliebig gewählt und arrangiert, wie man mit einer  Kamera aufs Geratewohl ein Foto macht. Willkürlich sind sie aus der Welt des Alltäglichen herausgegriffen. Das dargestellte „Was" ist also nicht das Wesentliche, sondern das malerische  „Wie". (...) Manchmal ist die Bildperspektive merkwürdig schief, außer Balance; manchmal  liegt der Fluchtpunkt außerhalb der Komposition; in  anderen Fällen bietet der Hintergrund - anders als bei den Dingen selbst - keine logische räumliche Kontinuität; vielmehr ist dort ein malerischer „unwirklicher" Hintergrund gleich einem Theaterprospekt (ähnlich wie im  Werk von Chardin,  einem von Henning   Loeschcke verehrten Maler), der  den Dingen einen  befremdlichen Ausdruck  von  Isoliertheit verleiht."

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JOHN EPSTEIN
Auszüge aus dem Katalogtext von 1992

"Indem ihr zweckgebundener Nutzen transzendiert wird, beginnen die Gegenstände, Vorstellung und Bewusstsein von den wirklichen Vorgängen der Wahrnehmung zu schaffen. Und vielleicht liegt es gerade an ihrer Transzendenz  - ein Stoß gegen die täglichen Sehgewohnheiten - dass die Gegenstände der realen Welt von nun an für uns nicht mehr ganz die gleichen zu sein vermögen.."

JOHN EPSTEIN
Auszüge aus dem Katalogtext von 1992

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